interim.projekte #31.11

Über Nacht ist ein ganzer Wald gewachsen
Daniela Huber/Yvonne Jakob/Julia Nuss

Dauer: 10. September bis 16. Oktober 2011

Vom 9.September bis zum 16.Oktober 2011 zeigen wir Arbeiten der Künstlerinnen Daniela Huber und Yvonne Jakob (beide Nürnberg) und Julia Nuss (Frankfurt).
Geflechtartig sind die drei Künstlerinnen miteinander verwachsen, es gibt teils inhaltliche, teils formale Schnittmengen zwischen ihren Herangehensweisen. Gemeinsam sind ihnen sicherlich die Auseinandersetzung mit Erinnerung und die damit einhergehende Arbeit mit verschiedenen Ebenen, da Erinnerung sich stets aus unterschiedlichen Quellen speist und rationale und irrationale Elemente miteinander verknüpft. Ist der Prozess des Wachsens planbar? Ist Dunkelheit bedrohlich oder bietet sie Geborgenheit? Verdichtung und Ausdehnung, ein schwer zu durchdringendes Geflecht aus Erinnerungen - die verschiedene Materialien und Medien lassen einen Raum entstehen, in dem man sich verlieren kann. In der Ausstellung wachsen Zeichnungen, "Cut-outs", düstere Aquarelle, sowie Malerei, Film und Installation ineinander.

Mit freundlicher Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie der Kulturstiftung der Städtischen Sparkasse Offenbach am Main.

Julia Nuss

"Die Natur braucht Ungleichgewichte, damit Neues entstehen kann; wie unsere Gesellschaft. Nur funktionierende Ungleichgewichte können nachhaltige Entwicklungen ermöglichen."
Die Natur, das ist das Flüchtige, Improvisierte, Lebendige. Sie ist nicht linear, komplex, auf wechselseitigen Austausch angelegt, und erscheint uns daher schwer zu greifen und undurchdringlich. Doch selbst was organisch gewachsen ist, folgt bestimmten Regeln, selbst wenn jene oftmals unserer Alltagserfahrung zu widersprechen scheinen. Diese erforscht Julia Nuss in ihren Installationen, Drucken und Gemälden. Sie schenkt Details ebenso viel Aufmerksamkeit wie dem großen Zusammenhang, beides wird zu einer Einheit, die erhellen und verstören kann. "Ich beschäftige mich momentan mit Systemen, Strukturen."
Der Wunsch, hinter diese sehen zu wollen, sie im Dasein zu verorten und zu verstehen, prägt Julia Nuss' Arbeiten inhaltlich und formal. In Schichten liegen die verschiedenen Strukturen übereinander. Spinnenpapier, Lack, Lupen. Raster, gefaltete geometrische Körper, die Licht und Schatten neu verteilen, die Schutz und Unterschlupf sein können, die verstecken, oder Erkenntnis offenlegen. Mal erkennt man Menschen, Landschaften, Bäume, mal verliert man sich völlig in den abstrakten Formen. Julia Nuss spielt mit dem Bewusstsein, dass Menschen Strukturen unterschiedlich wahrnehmen. Was für den einen Ordnung bedeutet, nimmt ein anderer als Einschränkung wahr. Ein schwer zu durchdringendes Geflecht aus Erinnerungen, gemachten Erfahrungen, persönlichen Ãœberzeugungen - der Wald, der hier gewachsen ist, kann auch im Weg stehen, kann verklären und verwirren.
"Manchmal ist es nicht mehr als eine kleine Lichtspiegelei. Doch diese reflektiert all jene Unwägbarkeiten, welche in meinen Arbeiten zum Ausdruck kommen und die schwindelig machen mit ihren Tiefen und Abgründen." Abgründe locken den Betrachter oft und unausweichlich in Julia Nuss Gemälden und Drucken, wo der räumliche Eindruck nicht nur durch Materialschichtung, sondern durch starke Perspektiven erzeugt wird. Man fällt ganze Stockwerke hinunter, Ophelia ertrinkt in den dunklen Tiefen, eine schimmernde Oberfläche trägt gerade nur die Blätter, die auf ihr schwimmen. Vergeblich sucht man nach einem Punkt, auf dem die Augen sicher ruhen können.
"Wem oder Worauf kann man vertrauen?"
Strukturen zu suchen, zu finden, aufzuzeigen, kann dazu führen, dass am Ende die Ausnahme der Regel zur bedeutsamsten Struktur wird. Man muss sich ihr überlassen können und einsehen, dass nicht alles planbar ist. So sind wir alle auf der Suche nach Orientierung in einer Welt, die alles kontrollieren möchte und doch oft genug dem totalen Kontrollverlust entgegen schlingert. Die aus dieser Hilflosigkeit folgende Ãœberwachung, um ermitteln zu können wie ein Individuum in ein bestimmtes Muster passt, prägt unser heutiges Leben entscheidend.

"Warum hat sich etwas genau so entwickelt und nicht anders?"
Gilt es letzten Endes den Zerfall von Zufälligkeiten als organisiertes Prinzip zu denken? Es lohnt, sich auf die Fragen einzulassen, die Julia Nuss in ihren Arbeiten aufwirft; auch wenn man sich hierbei dann und wann von Gedanken verabschieden muss, die man lieb gewonnen hatte.

www.julia-nuss.de

Daniela Huber

Daniela Huber arbeitet mit dem Medium der Zeichnung. Von besonderer Bedeutung, sowohl inhaltlich als auch formal, ist der Dialog zwischen Raum und Fläche, welchen Daniela Huber selbst als Vorgang des "Kippens" zwischen den Dimensionen beschreibt. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit Räumen aus ihrer Vergangenheit, die sie auf der Grundlage ihrer Erinnerung wiedererstehen lässt. Hierbei entstehen durch den selektiven Prozess des Erinnerns und in Verbindung mit dem realen Raum teilweise neue Räume, die nur in bestimmten Einzelheiten Ähnlichkeit mit dem Ort aus der Vergangenheit haben. Auch durch die Abstraktion, die die Künstlerin durch das Weglassen von Fragmenten und somit durch die Reduktion auf Formen erreicht, verlieren die Zeichnungen teilweise die Ähnlichkeit mit dem Vorbild.
Mit Wachsen und Wald verbindet Daniela Huber eine von einzelnen Linien ausgehende, immer dichter werdende Struktur. Auf zweidimensionalen Handzeichnungen auf Papier entstehen aus Linien immer wieder neue Gebilde. Das Papierrelief hingegen bewegt sich zwischen den Dimensionen. In einem kleinen Holzkasten überlagern sich mehrere Teile aus Papier, die ihren Ursprung in den Handzeichnungen haben. Diese werden zerlegt und neu kombiniert, wodurch eine zusätzliche Räumlichkeit entsteht. Durch die abgeschlossene Realität des Kastens wird der Eindruck von Bühnenaufbauten erweckt. Auch in den dreidimensionalen Installationen überlagern sich Teilstücke verschiedener Materialien und Formen und bilden in ihrer Kombiniert neue Objekte. Mit dem Ãœberlagern, und somit mit dem Verdecken und Unsichtbarmachen assoziiert die Künstlerin die Nacht.
Durch die Dreidimensionalität, das Hineinwachsen der Installation in den Ausstellungsraum, entsteht ferner eine Verbindung zwischen dem imaginierten Raum der Zeichnung und dem realen Raum der Umgebung. Dies wird noch verdeutlicht durch die Fortführung der Werke durch Zeichnungen, die direkt auf die Wand aufgetragen werden.
Durch das Weglassen von Linien in den Handzeichnungen und das Schwärzen von Nylonfäden in den Installationen entstehen "Leerstellen", welche die Funktion haben, durch die Imagination des Betrachters gefüllt zu werden. Im Zustand der Dämmerung zwischen Tag und Nacht, deren Zwielicht Manches im Unklaren lässt, ist der Wald noch nicht vollständig gewachsen oder zumindest teilweise der menschlichen Wahrnehmung entzogen. Der Betrachter wird eingeladen, Teil dieses Wachstumsprozesses zu sein, indem er die Leerstellen mit seinen eigenen Assoziationen und Vorstellungen füllt.


Yvonne Jakob

Yvonne Jakobs Aquarelle sind in gedeckten Farben, meist in Grün- Gelb- und Brauntönen gehalten. Lediglich im Werk "Geranie" verwendet sie auch ein intensiveres Rot. Ihre Arbeiten sind gegenständlich, manchmal bedient sie sich aber auch eines Mittels zur Abstraktion. Im Gegensatz zu Daniela Huber handelt es sich hierbei um eine Verfremdung durch Schaffung einer Distanz zwischen den teilweise sehr persönlichen Bildern und der Realität. Es handelt sich dabei um die Distanz zwischen dem Vorbild und dem Bild, gleichzeitig aber auch zwischen dem Abgebildeten und dem Betrachter/der Realität. Um diese Distanz zu schaffen überzieht sie die Aquarelle mit einer schwarzen Farbschicht, die sie selbst „eine Schicht schwarzer Dunkelheit" nennt. Die Themen "Wald" und "Nacht" sind auch in ihren Aquarellen von zentraler Bedeutung. Im Unterschied zu Daniela Huber kommt dies aber wesentlich stärker auf einer intuitiven und inhaltlichen Ebene zum Tragen, weniger auf einer formalen. Insbesondere die Nacht assoziiert sie mit dem Düsteren, Unbewussten, oder auch mit dem Tod. Oftmals haben ihre Arbeiten Tiere zum Motiv, die Nachts unterwegs sind. Dies wird besonders durch die gedeckten Farben, sowie die partielle schwarze Ãœbermalung verdeutlicht.
Ein zentrales Thema ist auch in Yvonne Jakobs Aquarellen die Erinnerung. Ihre Sichtweise ist jedoch nicht so distanziert, wie bei Daniela Huber, die sich an Räume erinnert, sondern von sehr persönlicher Natur. Yvonne Jakobs Aquarelle eröffnen den Weg in eine Welt, die scheinbar fernab unserer Realität liegt, aber dennoch Ähnlichkeit mit ihr hat. Auch hier wird der Betrachter direkt angesprochen. Er wird eingeladen, den Weg in den grünen, dunklen Wald zu betreten. Aber was verbirgt sich hinter der nächsten Wegbiegung? Die Neugier wird ihn treiben, dieses Geheimnis zu lüften, auch wenn die Angst und die Aufregung ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen.
Auch in dem Schwarz-Weiß-Film von Yvonne Jakob ist diese Gefühlsmischung präsent. Zu sehen ist eine Schaukel, die vor und zurück schwingt. Wichtig ist hier zum Einen die unendliche, sich wiederholende Pendelbewegung sowie das Motiv der Schaukel, das uns allen aus unserer Kindheit vertraut ist. Wieder spielt die Erinnerung also eine besondere Rolle. Sie wird mit einer unheimlichen Atmosphäre verbunden, die ein bisschen an die alten Hitchcock-Filme erinnern. Der Betrachter wird angeregt, Teil dieser schwarz-weißen Welt zu werden und zu überlegen, was wohl passiert sein mag. Es mag ihm ein bisschen wie beim Filmgenuss einer der alten Klassiker ergehen: Wird die Neugier siegen oder der Drang, dem Schauder zu entkommen?