interim.projekte #30.11

Kim Burgas, Kristin Lohmann

Dauer: 23. Juli bis 4. September 2011

interim.projekte #30.11
interim.projekte #30.11 führt zwei Künstlerinnen zusammen, die beide schon im Hafen 2 künstlerisch vertreten waren. Kim Burgas aus New York beschäftigte sich im letzten Jahr zwei Wochen im Rahmen des international workcamps Project M mit der Region und Hafen 2. Kristin Lohman war bereits in zwei Ausstellungen mit ihren Arbeiten vertreten.

Kim Burgas, lebt und arbeitet in New York
Kristin Lohmann, geb. 1976 in Bremen, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main

Mit freundlicher Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie der Kulturstiftung der Städtischen Sparkasse Offenbach am Main

www.ketchupwithkim.com
www.kimburgas.com
www.kristin-lohmann.de


Eröffnungsrede von Dr. Jule Hilgärtner für interim.projekte #30.11

"'Welcome friend... i'am Kim. Hey.
And this is the place to catch up with what the crap I am up to. So poke around. Get hungry about design preferably, but if it's a hot dog or tofu-nonmeat-meat-thing that is both acceptable and understandable.'
So begrüßt Kim, Kim Burgas, diejenigen, die auf ihre Internetseite unterwegs sind. Dort, unter www.ketchupwithkim.com tritt sie als Web- und Grafik-Designerin auf, dort zeigt sie sich als eine, die etwas von gutem Layout versteht und dem entsprechenden Know-How dasselbe auch zu progammieren.
Dort ist nicht die Rede von Kunst, zumindest nicht direkt. Aber wer mag, den bittet Kim, sich auf eine andere Seite vorzuklicken, eine gleichzeitig ganz andere Seite von ihr selbst, die aber keineswegs der zuerst genannten widerspricht. Wenn Kim als Designerin und nur einen Mausklick davon entfernt als Künstlerin der Performance, des Tanzes, des Films und der Zeichnung auftritt, haben wir es mit einem klassischen Fall des Sowohl-Als-Auch zu tun. Nicht mit dem eines Entweder-Oder.
Wenn ich heute Abend von dieser Doppelexistenz erzähle, also von zwei parallelen Linien, die einander nah und zugewandt sind, aber eben nicht zur Deckung kommen, dann mache ich das deswegen, weil ich glaube, dass man dadurch schon viel über die Person und Künstlerin Kim Burgas erfährt und noch mehr über ihre spezielle Sicht auf die Dinge. Dass das keine eingeengte, sondern im Gegenteil extrem weite, offene Sicht ist, sieht man den Zeichnungen auf den ersten Blick an.
Sie selbst haben keine eindeutige Begrenzung nach außen hin, es gibt nicht wirklich einen Anfang und ein Ende und das viele Weiß rundherum kommt genauso in dem Bereich vor, den man die "Mitte" nennen könnte. Selbst der Rand des Papiers ist nicht scharfkantig, sondern stellenweise ausgefranst, so dass man die zarten Fasern des Papiers gut sehen kann. Die Grafiken nämlich - sozusagen als Gedankenspielerei - ließen sich immer weiter fortsetzen: über den hier sichtbaren Stand der Dinge und letztlich über das jeweilige Blatt hinaus.
Weil einerseits die Linien markant, ohne ein Zögern auf's Papier gebracht scheinen und andererseits nach allen Seiten so viel Platz gelassen ist, kann beim Betrachten genau das passieren, was dem Vorgehen von Kim Burgas im Entstehungsprozess ihrer grafischen Arbeiten nahe kommt:
Sie beginnt, so erklärt die Künstlerin es selbst, meistens mit Details des Gesichts, mit einem Augenlied oder den Lippen oder einer anderen all dieser möglichen Kleinigkeiten im Gesicht, die uns aufmerken lassen und an denen wir hängen bleiben, um umso genauer hinzusehen. Das Gesicht, das naturgemäß aus manchen glatten, sagen wir fast 'leeren' Flächen wie erhöhten Wangenknochen besteht sowie aus Linien als Vertiefungen - Grübchen oder Falten -, treibt Kim Burgas ins Extrem. Was wir sehen ist gleichermaßen stark abstrahiert und in diesem Sinne präzisiert. Buchstäblich be-zeichnet Kim die Einzelheiten, die ihr wesentlich vorkommen. Wenn sie ihren Portraits Namen gibt wie, Gale, Florence und Yuki dann bedeutet das allerdings nicht, dass darin leibhaftige Menschen zur Abbildung werden. Diejenigen, deren Gesichter man hier sieht, gibt es nämlich nicht in Fleisch und Blut, sondern nur in Bleistift, Tusche und Aquarell. Auf dem Papier werden Gestalten anschaulich, die hin- und hergerissen scheinen zwischen Ab-Bild und Abstraktion, zwischen Fakt und Fiktion. Und wie so oft, lässt sich - auch glücklicherweise - nicht festlegen, was zuerst da war: die Fantasie, inspiriert von der Realität oder die Realität, ausgeformt durch die Fantasie.

Beispielhaft dafür kann man die Frisuren der Wesen betrachten, die tatsächlich mehr sind, als nur Haare, sondern vielmehr eine Haarpracht, die einen immensen Gestaltungsspielraum eröffnet: Die Frisur, oder „headdress“ wie Kim es nennt, steht für jenen Freiraum, sich selbst zu entwerfen, sich zu zeigen, über sich und die körpereigenen Maße hinaus zu wachsen. Haarfeine Linien deuten ein üppiges Volumen an und man merkt beim Betrachten, dass es diesen Gestaltungsspielraum des Kopfschmucks sowohl auf dem Papier als auch 'in echt' gibt. Das ist so selbstverständlich wie schlüssig, wenn es um das faktisch-fiktionale Wechselverhältnis innerhalb der grafischen Darstellungen geht, wie wir sie hier sehen können.
Es gäbe noch mehr und mehr zu sagen und es könnte ausufernd werden, über diese Zeichnungen zu sprechen, zumal sie - wie gesagt - dieses Ausufernde in sich tragen und deshalb besonders dazu veranlassen. So sehr ich behaupten würde, dass das Schweifen-Lassen in der Betrachtung Kims Grafiken entspricht, umso weniger wäre es passend, genau das in dieser kleinen Einführung in einem sprachlichen Monolog vorzuführen.
Und genau deswegen habe mich entschieden meine Gedanken zu bündeln und statt frei zu sprechen, lieber aufzuschreiben und mich brav ans Ablesen zu halten. Immerhin kann ich mir vorstellen, dass schon jetzt, nach ein paar Minuten, die wir gemeinsam in diesem Raum sind, ein gewisses Bedürfnis besteht, sich irgendwo niederlassen, sich zu setzen. Am besten in die Mitte, von wo aus man alles gut sehen kann.
Doch genau da hat Kristin Lohmann schon ihre Arbeit platziert, über die ich als nächstes kurz sprechen möchte, denn auch wenn ich mir sicher sein kann, dass Sie und Ihr alle schon längst darin das erkannt haben, auf was sich dieses Objekt bezieht. Und wenn im Grunde alles so besonders offensichtlich und einfach und überaus klar erscheint, gibt es manches, was gut ist zu wissen.
Das, was hier vorliegt, ohne Sockel auf dem Boden und mittendrin, ist eine Euro-Palette. Und doch ist es keine. Das Objekt ist gleichzeitig ganz nah dran, an dem, auf was es verweist und im selben Augenblick nicht mit der gängigen Euro-Palette über eins zu bringen:
Die Maße von 1,20 m Länge, 80 cm Breite, 14,4 cm Höhe, den Längsbrettern mit einer Breite von 10cm, den leicht abgeschrägten Kanten und Ecken, entsprechen exakt jenen Paletten, die den Transport von Loriots Senfgläsern über kistenweise Kopierpapier bis hin zu EHEC-Gurken revolutioniert und außerdem so manches Studentenbett gestellt haben.
Bei aller Verpflichtung und Präzision, was diese strikt festgelegten Proportionen angeht, war's das aber vielleicht auch schon mit den Gemeinsamkeiten der handelsüblichen Euro-Palette. Dieses Modell hier hat keine Markierungen an den Ecken, die es als für den Güterverkehr zugelassene Euro-Palette kennzeichnen; man sieht nicht die vorgeschriebenen 78 Nägel, die gemäß der Baunorm UIC 435-2 mit größtmöglichem Abstand ins Holz gebracht werden, um die sogenannte "Diagonalsteifigkeit" der Palette zu gewährleisten; die Oberfläche ist nicht so rau wie üblich, wo man sich ziemlich wahrscheinlich einen Splitter zuzieht, sobald man die Euro-Palette mit bloßen Händen anhebt, statt mit den groben blau-beige-farbenen Arbeitshandschuhen; denn ganz offensichtlich ist diese Palette hier nicht aus dem so kostengünstigen wie belastbaren Fichtenholz fabriziert.
Und ich vermute, dass allein diese offensichtlichen und daher vielleicht auch banalen Unterschiede auch der Grund dafür sind, dass wir uns alle noch nicht längst auf den Kanten dieser auf den ersten Blick sehr besonderen Palette niedergesetzt haben. - Trotzdem man sich hinsichtlich dieser so feinen Oberfläche sicher sein kann, dass hier nichts splittert.
Dem Titel "Celebration" entsprechend, den Kristin Lohmann dieser, speziell für die Ausstellung hergestellten Arbeit gegeben hat, strahlt diese Holzkonstruktion eine gewisse Feierlichkeit aus. Die Künstlerin hat hier keine Euro-Palette wie sie von Gabelstaplern transportiert würde, in den

Kunstraum überführt, um im provokanten Ready-Made-Verfahren den Alltagsgegenstand zum Kunstwerk zu erklären. In der Tat geht es ihr nicht im engeren Sinne darum, diese durch Duchamps Pissoir losgetretene Debatte fortzuschreiben. Stattdessen aber spielt Kristin mit dem, was wir kennen und wieder erkennen und was uns verblüfft, weil wir etwas vorgesetzt bekommen, was irgendwie völlig anders ist und trotzdem unglaublich gewohnt.
Diese Spielerei findet auf eindruckvoll feierliche Weise statt und kommt mir vor, wie eine Lobeshymne, eine Ode an die Euro-Palette, von der wir hier keine simple Veredelung sehen, was etwa die Oberflächenbehandlung anbelangt, sondern um den nobelsten Nachbau, den man sich anlässlich des 50sten Geburtstags, den die berühmte Palette in diesem Jahr feiert, vorstellen kann. Bei aller Bodenständigkeit ist diese Holzkonstruktion ein Kunst-Objekt geworden:
- zu dem man fast wie von selbst Abstand hält, weil es so edel wirkt;
- aber das man trotzdem unbedingt anfassen mag, um das Holz zu fühlen;
- über das man schmunzeln kann, weil es auf amüsant-ironische Weise mit dem Zitat umgeht.

Auch wenn am Anfang einer jeden Arbeit von Kristin Lohmann das streng durchdachte Konzept steht, so wird das Kunstwerk erst dann zu einem solchen, sobald es realisiert ist, vom Schreiner gebaut und hier vor uns auf dem Boden liegt. Rein theoretisch bliebe die aus einem edlen Holz gedachte Euro-Palette kaum mehr als ein feiner Witz. Komplex wird das Ganze erst in der Umsetzung, wenn künstlerische Entscheidungen getroffen werden müssen, die in der Wahrnehmung auf sich aufmerksam machen.
Kristin geht es bei ihren Arbeiten wie dem Selbstporträt, das unten im Cafe zu sehen ist, bei den gravierten Brillen im wahrsten Sinn des Wortes sowie ihrem fotografischen Statement zur Frauenfußball-WM und selbstverständlich bei der Jubiläumspalette darum, uns beim Sehen straucheln zu lassen. Aber keinesfalls mit einem auch nur ansatzweise belehrenden Gestus, sondern im Grunde, weil ihr die Sensibilität in der Wahrnehmung so wichtig ist, die in diesem Straucheln liegt, das sie auch selbst im Arbeitsprozess durchmacht. Dabei ist es beinahe Bedingung, dass in jedem Straucheln ein gewisses Risiko liegt - sonst wäre man nicht in dieser Form hin und her gerissen. Hin- und hergerissen war auch der Schreiner, der nach Kristins Konzept die Euro-Palette aus Elsbeeren-Holz bauen sollte. Und durchaus gab es gute Gründe für ihn zögerlich zu sein. Für all diejenigen, denen die Elsbeere ein Begriff ist, muss an dieser Stelle nichts weiter gesagt werden. Für alle anderen, zu denen auch ich bis vor kurzem zählte, wird es aber umso aufschlussreicher sein, dass die Elsbeere - übrigens Baum des Jahres 2011 - als eines der edelsten und daher kostspieligsten Hölzer überhaupt gilt.
Der Elsbeerbaum, wird nicht allein wegen seiner Früchte, aus denen edler Elsbeerschnaps hergestellt wird, geschätzt, sondern ebenso sehr für sein besonders gerade wachsendes Holz in warmem Rotton, das für den Bau von Dudelsackpfeifen zum Einsatz kommt und früher aufgrund seiner Maßhaltigkeit für Zollstöcke und Lineale und verwendet wurde. Was das angeht, scheint es naheliegend, ein 50jähriges Maß-Kultobjekt wie die Euro-Palette daraus zu bauen und ganz im Sinne der sensibilisierten Wahrnehmung mit diesem Edelholz jenen Funktionsgegenstand vollkommen unbrauchbar zu machen.
Definitiv ist das Verschwendung.
Verschwendung, wie alle Kunst Verschwendung ist: von Kraft, Energie, Geist, Material, Zeit. - Vergleichbar vielleicht nur mit dem Feiern.

Let's celebrate!"